Libellenfauna ausgewählter Kleingewässer der Lippeaue 2020

Untersuchungen zur Libellenfauna ausgewählter Kleingewässer in der Lippeaue zwischen Bergkamen und Lünen 2020

Sven Christopher Haubrock

Im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Ruhruniversität, Fakultät für Biologie und Biotechnologie, wurde im Sommer 2020 die Libellenfauna ausgewählter Stillgewässer in der Lippeaue untersucht. Die Arbeit wurde durch Prof. Dr. W.H. Kirchner betreut und vor Ort von der Biologischen Station Unna | Dortmund begleitet.

Die Untersuchung sollte einen aktuellen Blick auf die Libellenfauna eines Ausschnittes der Lippeaue ermöglichen. Ein Teil der Gewässer war bereits vor etwa 25 Jahren im Fokus odonatologischer Untersuchungen. Dieses ermöglichte einen vergleichenden Blick auf das Arteninventar.

Methodik

Für die Untersuchung wurden sieben Gewässer anhand verschiedener Kriterien (Lage, Größe, Alter, Altdaten usw.) ausgewählt und jeweils einmal wöchentlich aufgesucht. Die Lage des Untersuchungsraumes und der einzelnen Gewässer ist der folgenden Abbildung zu entnehmen.

Über acht Wochen, von Ende Juni bis Ende August, erfolgte die Datenaufnahme im Gelände. Die Erfassung und Bestimmung der Libellen erfolgte im Gelände in der Regel durch Sichtbeobachtungen auf definierten Transekten. Nur vereinzelt wurden Individuen zur Determination auch vorsichtig gekeschert. Nach der Bestimmung wurden die Tiere wieder in Freiheit entlassen. Auch digitale Belegaufnahmen dienten zur Bestimmung und Sicherung der Funde und machten die Entnahme von Tieren zur Determination überflüssig.

Zusätzlich wurden auf Probestrecken Exuvien gesammelt. Mit Beendigung der Larvalphase schlüpfen die Imagines und hinterlassen die alte chitinöse Larvalhülle. Anhand dieser so genannten Exuvien sind viele Arten sicher zu bestimmen. Sie liefern einen sicheren Nachweis der Bodenständigkeit einer Art.

Untersuchungsgewässer in der Lippeaue

Ergebnisse

Insgesamt konnten während der Untersuchung 22 Libellenarten nachgewiesen werden (13 Kleinlibellen- und 9 Großlibellenarten). Die am weitesten verbreiteten Arten waren hierbei die Blaue Federlibelle (Platycnemis pennipes), die Große Pechlibelle (Ishnura elegans), die Große Königslibelle (Anax imperator), die Große Heidelibelle (Sympetrum striolatum) und die Blutrote Heidelibelle (Sympetrum sanguineum). Diese fünf Arten konnten an allen Gewässern vorgefunden werden.

Die Artenzahlen je Untersuchungsgewässer liegen zwischen 10 und 17, zwei Gewässer fallen mit mehr als 2000 Nachweisen von Imagines als individuenreicher auf, an den anderen fünf liegen die nachgewiesenen Individuenzahlen meist deutlich unter 1000.

Artenliste der nachgewiesenen Libellen nebst Angaben zum Gefährdungsstatus in NRW

Über bestimmte Verhaltensweisen wurde versucht die Bodenständigkeit abzuschätzen, d.h. wie wahrscheinlich eine Reproduktion an einem potentiellen Fortpflanzungsgewässer erscheint. Danach wurden 6 Arten als sicher bodenständig und weitere 12 Arten als wahrscheinlich bodenständig eingestuft.

Gegenüber einer Untersuchung an Kleingewässern aus dem gleichen Lippeabschnitt aus dem Jahr 1995 wurden weniger Arten festgestellt. Bei der Altuntersuchung wurden 28 Arten notiert, 2020 waren es 6 Arten weniger. Aus der Differenz muss kein Artenschwund geschlossen werden, sie ist allein durch den damals längeren Untersuchungszeitraum oder oder auch intensivere Methodik begründbar.  Neben einem Grundstock von in beiden Untersuchungen nachgewiesenen Arten wurden aktuell auch gegenüber 1995 drei „neue“ Arten vorgefunden. Darunter auch die Pokaljungfer (Erythromma lindenii), die als mediterrane Art angesprochen wird. Sie hat in den letzten Dekaden von Süden her kommend ihr Areal stark ausgeweitet. An den meisten Untersuchungsgewässern konnte sie in in großer Zahl angetroffen werden. Unter den gegenüber 1995 „neu“ erfassten Arten befanden sich auch die Gemeine Winterlibelle (Sympecma fusca) und die Kleine Pechlibelle (Ishnura pumillio). Diese sind zwar für die Region bekannt, konnten jedoch in der vorangegangenen Arbeit nicht nachgewiesen werden. Die Südliche Mosaikjungfer (Aeshna affinis) war 1995 noch eine Neuheit, heute hat sie sich an den Stillgewässern der Lippeaue etabliert und ist zahlreich anzutreffen. Allerdings blieben auch Nachweise von 9 Arten aus, die 1995 noch angetroffen werden konnten.

Pokalazurjungfer – Erythromma lindenii

Von den angetroffenen Arten gilt lediglich die Fledermaus-Azurjungfer (Coenagrion pulchellum) als gefährdet und steht auf der Roten-Liste der gefährdeten Arten von Nordrhein-Westfalen. Es konnten nur an einem Untersuchungsgewässer wenige Individuen nachgewiesen werden. Die Art reagiert empfindlich auf die voran schreitende Eutrophierung der Landschaft, die auch die Gewässer nicht auslässt. Ebenfalls selten wurde die Herbst-Mosaikjungfer (Aeshna mixta) gesichtet. Konnte sie 1995 noch an beinahe jedem untersuchten Gewässer angetroffen werden, so liegt für 2020 ledig eine einzige Beobachtung vor.

Betrachtet man die gesamte Zönose, wird deutlich, dass sich das Artenspektrum zum größten Teil aus in Nord-Westdeutschland noch weit verbreiteten und relativ häufigen Arten zusammensetzt. Hinsichtlich ihrer ökologischen Reaktionsbreite sind mehr als drei Viertel der Arten als euryök anzusprechen, sie sind also in der Lage eine weiteres Spektrum unterschiedlicher Gewässertypen zu besiedeln. Eine engere Bindung an bestimmte Habitatrequisiten besteht bei den mesöken bzw. stenöken Arten.

Auch wenn die Untersuchungsgewässer in einer Flussaue liegen, birgt das Artenspektrum mit Calopteryx splendens und Platycnemis pennipes lediglich zwei Arten der Fließgewässer. Bestimmend für das jeweilige Artenvorkommen ist die Lage und Ausstattung der Gewässer. Biotische und abiotische Faktoren sind hier die Steuerungsgrößen: z.B. Beschattung vs. besonnte Bereiche, Größe und Tiefe des Wasserkörpers, Vorhandensein oder Fehlen von Ufergehölzen, Uferhochstaudenfluren, Wasservegetation etc. Da es sich bei den Untersuchungsgewässern um Stillgewässer handelt, fehlen logischerweise die Arten strömender Gewässer. Und dieses umfast sowohl sich dort potentiell fortpflanzende Arten als auch Arten, die die Aue als Jagdraum nutzen. Die Lippe ist auch in der Naturschutzgebietskulisse ein stark überformter Fluss, der stark in die Aue eingetieft kaum mehr eine Fließgewässerdynamik mit regelmäßigen Hochwasserereignissen ausleben kann. In so fern sind die Untersuchungsgewässer trotz ihrer Lage in der Aue wohl Kleingewässern mit adäquater Ausprägung außerhalb der Aue ähnlicher als solchen, die noch in einer intakten Flußlandschaft liegen. Die Untersuchungsgewässer sind zwar durchaus unterschiedlich hinsichtlich der o.g. Parameter ausgestattet, grundsätzlich entsprechen sie aber alle einem eutrophen Gewässertyp mit perennierender Wasserführung. Strukturelle Unterschiede entstehen durch die Ausprägung der Ufergehölze, das Vorhandensein von Ufer- und Wasservegetation womit sie auch gleichzeitig verschiedene Sukzessionsstadien abbilden, die zum Beispiel durch Gewässersanierungs- oder Gehölzepflegemassnahmen, die die Biologische Station und der Kreis Unna anstoßen, induziert werden. Man kann ein arten- und individuenreichers Vorkommen innerhalb der NSG-Kulisse vermuten, da in der Regel im Umfeld der Gewässer nur extensive Landwirtschaft betrieben wird. Stoffliche Einträge (Nährstofffracht, Antibiotika, Antiparasitika…) dürften reduziert sein oder nicht vorliegen und können daher auch keine oder nur geringere abträgliche Wirkung auf die besonders sensible aquatische Lebensphase entfalten.

Der zoogeographische Blick auf die Arten nimmt eine Zuordnung auf die verschiedenen Verbreitungstypen vor. Ein Großteil der nachgewiesenen Arten besiedelt ein (mittel-/nord-) europäisches Areal. Die Grafik beleuchtet aber auch das ein erheblicher Anteil des Artenspektrums sich aus Spezies zusammensetzt die einen mediterranen- oder südosteuropäischem Verbreitungstyp (pontisch/kaspisch) besiedeln. Bei einigen Arten dieses Arealtyps konnte in den vergangenen Jahrzehnten eine Arealausweitung nach Norden/Nordwesten beobachtet werden, was hinlänglich als Reaktion auf klimatische Veränderungen gedeutet wird. Waren früher Nachweise von Crocothemis erythrea, Aeshna affinis, Sympetrum striolatum, Erythromma lindenii und Erythromma viridulum eine Ausnahmeerscheinung, sind diese eher mediterranen Arten heute in Westfalen verbreitet und auch im Untersuchungsgebiet etabliert. Ein Phänomen, das ebenfalls von der Lippe aus dem Nachbarkreis Soest beschrieben wird.

Libellen der Untersuchungsgewässer – zoogeographische Betrachtung

Eine vollständigere Darstellung und Ausarbeitung ist der Bachelorarbeit zu entnehmen, hier im Jahresbericht kann nur anreissend ausgeführt werden. In Zeiten des durch den Menschen verursachten massiven Insektensterbens und ebenso anthropogen Klimawandels sind Untersuchungen wie diese erst Recht wichtig, da sie eine geeignete Datengrundlage darstellen um überhaupt Veränderungen in der Landschaft aufzudecken und zu belegen. Gleichwohl gelingt dies nicht mit einer Aufnahme, die nur eine Saison währt – aber sie liefert einen essentiellen Baustein, um Probleme zu erkennen und ggf. Handlungsstrategien abzuleiten.

Aeshna affinis im Flug

Literatur / Quellen

AK Libellen NRW (Arbeistkreis zum Schutz und zur Kartierung der Libellen in NRW) (1996b): Erläuterungen zur Erfassung der Libellen (Odonata) in Nordrhein-Westfalen. Manuskript (Stand: März 1996): 1-19. http:\\www.ak-libellen-nrw.de .

Arbeitskreis Libellen NRW in Zusammenarbeit mit LWL-Museum für Naturkunde (o.J.): Atlas der Libellen Nordrhein-Westfalens. Online-Atlas der Libellen Nordrhein-Westfalens. http:\\www.libellenatlas-nrw.lwl.org

Bauhus, S. (1996): Die Libellenfauna ausgewählter Stillgewässer der Lippeaue und des Beversees unter besonderer Berücksichtigung mediterraner Arten. Diplomarbeit, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Institut für Landschaftsökologie.

Conze K.-J. & N. Grönhagen, unter Mitarbeit von E. Baierl, A. Barkow, L. Behle, N. Menke, M. Olthoff, E. Lisges, M. Lohr, M. Schlüpmann & E. Schmidt (2011): Rote Liste und Artenverzeichnis der Libellen – Odonata – in Nordrhein-Westfalen. Stand April 2010. In: LANUV (Hrsg.): Rote Liste der gefährdeten Pflanzen, Pilze und Tiere in Nordrhein-Westfalen, 4. Fassung. LANUV Fachbericht 36 (2): 511-534.

Haubrock, S. (2020); Untersuchung der Libellenfauna anhand ausgewählter Stillgewässer der Lippeaue, im Raum Bergkamen und Lünen. Bachelor Arbeit Angefertigt in der Fakultät für Biologie und Biotechnologie Bochum, Dezember 2020, 51 S. + Anhang

Conze, K.-J., N. Menke & M. Olthoff (2011): Libellen und Klimawandel in Nordrhein-Westfalen. Natur in NRW 4/2011: 20-26.

Joest, R., Jaworski, N., Langenbach, A. & Andreas Rödel, A. (2014): Entwicklung der Libellenfauna in der renaturierten Lippeaue., Langjährige Erfassungen in der Klostermersch und Hellinghauser Mersch, Kreis Soest. Natur in NRW 1/14: 28 – 31